Sächsische Bibliotheksgesellschaft

Ergebnisse und Eindrücke der Tagung 6.-8.10.2022

Von Juliane Flade, Henriette Mehn, Thomas Bürger

Die Tagung Erinnerungskultur digital - Impulse, Herausforderungen, Strategien führte mehr als 100 Teilnehmende aus mehr als 60 Vereinen, Initiativen und Einrichtungen zusammen. Die SäBiG richtete die Tagung im Workshop-Format gemeinsam mit acht Partnereinrichtungen aus.

Die Eröffnungsdiskussion Digital – Macht – Geschichte am 6.10.22 in der Frauenkirche startete mit einem digitalen Impuls von Claudia Roth. Gesprochen wurde über Unterschiede der Erinnerungskulturen in Deutschland, Polen und Tschechien und über gemeinsame Perspektiven, europäische Erinnerungsorte digital stärker sichtbar zu machen. Mehr Medienkompetenz, mehr Kooperation und Vernetzung seien anzustreben.

Diskussion über europäische Erinnerungskulturen in der Frauenkirche.
Diskussion über europäische Erinnerungskulturen in der Frauenkirche. © Foto: Holm Helis

Digitalisierung der Erinnerungskultur und Gamification

Den ersten Workshop über digitale Methoden und Werkzeuge moderierten Dr. Katrin Möller (Historisches Datenzentrum Halle) und Martin Munke (SLUB Dresden). Tanja Tröger (Stadtwiki Dresden) stellte hier die Vorteile der Wikimedia-Plattform (intuitive Nutzung, kostenfreien Zugang) vor. Torsten Wehlmann präsentierte die Topothek Leipzig und das Projekt „Time Machine“. Franziska Schubert von Arolsen Archives betonte die Vorteile von Foren für Citizen Science als Austauschmöglichkeit sowie die Vorteile digitaler Verfügbarkeit historischer Quellen. Ein Ergebnis des Workshops ist der Impuls, dass Archive und Bibliotheken eine Schlüsselrolle bei der digitalen Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit von Projekten zur Erinnerungskultur übernehmen sollten. Auch sei die Vernetzung und öffentliche Sichtbarkeit deutlich zu stärken.

Der zweite Workshop ging der Frage nach, wie Lücken bei der Digitalisierung historischer Zeitzeugnisse angesichts des Verlusts von Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts ausgefüllt werden können. Dr. Konstantin Hermann (Landesdigitalisierungsprogramm der SLUB Dresden) und Dr. Domenic Städtler (Deutsche Digitale Bibliothek) plädierten bei der Vielzahl der Portale und Suchmöglichkeiten für Hilfestellungen und Handreichungen, auch für noch mehr Unterstützung bei der praktischen Weitergabe digitalisierter Quellen an diese Portale. Der Sinn und Nutzen von Disclaimern bei der digitalen Präsentation ethisch problematischer Quellen wurde intensiv diskutiert: Disclaimer sollten gut dosiert und gezielt eingesetzt werden, ohne Nutzer*innen zu bevormunden. Noch wichtiger seien aber geeignete Kontextualisierungen. Beim Zeitungsportal der Deutschen Digitalen Bibliothek etwa sollten künftig NS-Zeitungen neben Exilzeitungen gestellt werden, um künftig direkt und barrierefrei auf unterschiedliche Zeitzeugnisse zugreifen zu können.

Das zweite Panel mit drei Workshops war der digitalen Vermittlung gewidmet. Den Workshop „Chancen digitalen Vermittelns und Lernens für Gedenkstätten und Schulen“ moderierten Sven Riesel (Stiftung Sächsische Gedenkstätten) und Anna Schüller, Lehrerin in Chemnitz. Oliver Plessow (Universität Rostock) fasste die Diskussion wie folgt zusammen: „Gedenkstätten brauchen mehr Digitalität, sie brauchen aber auch die Präsenz vor Ort. Die Menschen möchten nach der Pandemie jetzt wieder leibhaftig an die historischen Orte.“ Neue Besuchergenerationen mit intelligenten digitalen Formaten in die vielen originalen Erinnerungsorte einzuladen, sei die aktuelle Herausforderung. Dafür hatte sich am Vorabend bereits Wojciech Soczewica am Beispiel des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ausgesprochen.

Diskussion über digitale Vermittlungsformen.
Diskussion über digitale Vermittlungsformen. © Foto: Crispin-Iven Mokry

Beim vierten, von Mathias Herrmann (TU Dresden) und Dr. Nico Nolden (Universität Hannover) moderierten Workshop „Digitale Spiele in der Erinnerungskultur“ wurde es noch konkreter. Für Dr. Anne Dippel (Universität Jena), Tabea Widmann (Universität Konstanz) und Christian Huberts von der „Datenbank Games und Erinnerungskultur“ der Stiftung Digitale Spielekultur sind digitale Spiele längst zu einem relevanten und innovativen Bestandteil der Erinnerungskultur herangewachsen. Gaming sollte als Vermittlungsformat von und für Digital Natives ernst genommen und im Dialog von Spiele- und Gedenkkultur aktiv weiterentwickelt werden.

Der fünfte Workshop „Social Media – Neue Wege bei der Vermittlung von Geschichte“ schlug die Brücke zu den sozialen Netzwerken. Martin Reimer (TU Dresden) und Lisa-Marie Eberharter (Dresdner Geschichtsverein e.V.) erläuterten die Wechselbeziehungen zwischen ernsthaftem Interesse an Vergangenem, Histotainment und (politischer) Instrumentalisierung. Der Historiker Dr. Hannes Burkhardt, Referent für politische Bildung in Rostock, hat umfangreich über Nationalsozialismus und Holocaust in Erinnerungskulturen auf Facebook, Twitter, Pinterest und Instagram gearbeitet. Dr. Iris Groschek, Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen, faszinierte mit ihren Praxiserfahrungen, konkret ihrer Präsenz bei TikTok, um neues Publikum für die Hamburger Gedenkstätte KZ Hohengamme zu gewinnen. Sie wünschte, dass digitale Bildung endlich als Basisaufgabe begriffen und Personalressourcen entsprechend in den Institutionen eingesetzt werden. Ziel sei eine wertschätzende Haltung für junge Zielgruppen, die anders erreicht werden (wollen).

Markt der Möglichkeiten

Am Freitagmittag bot der Markt der Möglichkeiten Platz für Anschauung und Zeit für Gespräche. Zwölf Vereine und Initiativen präsentierten ihre Arbeit. So engagiert sich Jan Schenck seit vielen Jahren für die „Verbrannten Orte“, konkret für die Kartierung und Vernetzung von Quellen zu den Orten der Bücherverbrennung 1933.

Die Sächsische Landesbeauftrage zur Aufarbeitung der SED-Diktatur präsentierte das Projekt Hi-Stories, das sich direkt an die Schulen wendet. Wie die Stolpersteine NRW durch den WDR vernetzt wurden, erläuterten Stefan Domke und Jule Küpper aus Köln.

Christian Hubert stellte Spiele aus seiner Datenbank Games und Erinnerungskultur vor. Kay-Michael Würzner (Open Science SLUB Dresden) präsentierte das Moravian Knowledge Network, welches sich mit der digitalen Erschließung handschriftlicher Quellen der Herrnhuter Brüdergemeine befasst. Fragen rund um Wikisource beantwortete Andreas Wagner am Wikisource-Beratungsstand.

Stolpersteine analog und digital
Stolpersteine analog und digital © Foto: Anne Lippert
Kay-Michael Würzner und Prof. Thomas Bürger mit 3D-Brille am Stand DigitalHerrnhut.
Kay-Michael Würzner und Prof. Thomas Bürger mit 3D-Brille am Stand DigitalHerrnhut. © Foto: Anne Lippert

Bürgerengagement für eine digitale Erinnerungskultur

Der Samstag war der Zusammenarbeit von Ehrenamtlichen, Initiativen und Institutionen gewidmet.  Dieter Gaitzsch und Tobias Kley (Sprecher der sächsischen Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus) moderierten den Workshop „Best practice – Erfahrungsaustausch und Visionen“. Es wurde deutlich: Es gibt viel Engagement, viele Erfolge und hohe Motivation, aber auch Defizite und To do´s: Mehr Vernetzung zur Vermeidung von Doppelarbeit und mehr Nachhaltigkeit waren zwei Themenschwerpunkte und Forderungen. „Was uns fehlt ist ein guter Überblick über die vielen neuen Tools und Werkzeuge, die wir angefangen von Citizen Science bis zur Spitzenforschung gemeinsam nutzen können, um innovative Projekte zu gestalten“, sagte Katrin Moeller vom Historischen Datenzentrum der Universität Halle: „Es sind vor allem die gemeinsamen Schnittstellen, Normdaten und Linkage-Techniken, über die wir webbasiert die Brücken zwischen den einzelnen Projekten schlagen können und so vernetztes Wissen für Erinnerungskultur und Wissenschaften voranbringen.“ 

Die Tagung war zwar hybrid angelegt, aber alle waren sich einig, dass nach der langen Corona-Unterbrechung die persönlichen Gespräche überfällig waren. Eine konstruktive Zusammenarbeit von so unterschiedlichen Akteur*innen auf Augenhöhe benötigt Vertrauen und regelmäßigen Austausch. Die Tagung versteht sich deshalb als Anfang und Impuls für mehr Vernetzung und Digitalität in der Erinnerungskultur. Und auch darüber waren sich alle einig: Demokratie braucht mehr digitale Bildung und eine weiterhin lebendige und überzeugende Erinnerungskultur, analog und digital.

Projektpräsentation.
Projektpräsentation. © Foto: Crispin-Iven Mokry

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